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31.10.2025Popup Office • Vancouver 2025 • Teil 5

21TORR Popup Office 2025: Menschen, Kultur und Haltung in Vancouver

Je länger wir in Vancouver sind, desto deutlicher wird: Diese Stadt lebt von ihren Menschen. Offen, freundlich, divers – und geprägt von einer Haltung, die verbindet. Im Austausch mit Locals und Communities haben wir uns schnell willkommen gefühlt. Vancouver schafft es, internationale Einflüsse, indigene Kultur und Westküstenmentalität zu einem inspirierenden Miteinander zu verweben.

People walking through a museum gallery featuring large totem poles and indigenous art, with natural light streaming in from the windows.

Kultur erleben – mit allen Sinnen

In keiner anderen Stadt Nordamerikas spürt man kulturelle Vielfalt so unmittelbar wie hier. Hier beginnt Kultur nicht im Museum, sondern auf der Straße – mit Gerüchen, Geschmäckern und Begegnungen. Überall duftet es nach frisch gebrühtem Kaffee und Streetfood. Kaffeebars locken mit unzähligen Geschmacksrichtungen, Restaurants mit Einflüssen aus aller Welt: von Poutine über Poke Bowls und Butter Chicken bis Bibimbap.

Die indigene Community ist in Westkanada tief verwurzelt, ihre Naturverbundenheit in Vancouver allgegenwärtig – dort, wo Buchten mit Orcas auf Berge mit Grizzlies treffen. Die Stadt erinnert einen daran, wie eng Kultur und Landschaft miteinander verbunden sein können. Neben den First Nations prägen zahlreiche weitere Communities das Stadtbild. Besonders stark vertreten ist die asiatische Community, ebenso Hispanic- und europäische Einwanderergruppen. Vancouver ist damit ein Ort, an dem man als International nicht auffällt – sondern einfach dazugehört. Und trotzdem bleibt alles unverkennbar „kanadisch“: freundlich, hilfsbereit, gelassen. Das zeigt wie sich die kulinarische Vielfalt auch in den Menschen widerspiegelt, die hier leben. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung wurde außerhalb Kanadas geboren, über 190 Sprachen sind in Vancouver vertreten – von Chinesisch bis Punjabi, von Tagalog bis zu den Sprachen der Musqueam, Squamish und Tsleil-Waututh Nationen. Letztere prägen das Stadtbild spürbar mit: Ihre Schriftzeichen und Ortsnamen stehen oft sogar über dem Englischen auf Schildern – ein sichtbares Zeichen des Respekts und der kulturellen Wiederaneignung.

Kultur ist hier kein Schlagwort, sondern gelebte Realität: täglich, hörbar, sichtbar, schmeckbar. Und sie zeigt, wie Vielfalt funktionieren kann – nicht als Nebeneinander, sondern als Miteinander.

 

Holztotempfahl mit einer Figur mit ausgestreckten Armen, die einen Kopfschmuck und einen Rock mit Fransen trägt, vor einem strahlend blauen Himmel.
Eine Ausstellung von Holzpaddeln mit aufwendigen Mustern, die an einer Wand mit gewebten Textilien in einem musealen Umfeld angebracht sind.
Skulptur eines großen Raben auf einer Kuppel, darunter menschliche Figuren, in einem runden Raum mit einem Scheinwerfer darüber.
Zwei Personen stehen zwischen hohen, kunstvollen weißen Strukturen mit indigenen, braunen Mustern vor dem Hintergrund von Bergen und einem bewölkten Himmel.

Kanadier:innen – freundlich, direkt, einfach menschlich

herzlicher. Fremde Menschen sprechen einen ohne Vorwarnung im Bus oder auf der Straße an – einfach, weil sie Lust auf Austausch haben.

„How are you?“ ist hier keine Floskel, sondern Türöffner. Diese Aufgeschlossenheit hat uns anfangs überrascht – und dann begeistert. Ebenso ihre Höflichkeit: Selbst beim Aussteigen aus der hintersten Bustür rufen die Fahrgäste ein lautes „Thank you“ nach vorn zum Fahrer. Kleine Gesten, große Wirkung.

Kanadier:innen entschuldigen sich oft, auch wenn sie gar nichts „falsch“ gemacht haben. Diese Freundlichkeit mag uns Schwaben zunächst irritieren – aber sie macht den Alltag angenehmer. Sie entschleunigt. Und sie erinnert daran, dass Wertschätzung nichts kostet.

Historisches Gebäude mit verzierter Backsteinfassade und moderner runder Aussichtsplattform auf dem Dach, vor dem Hintergrund eines strahlend blauen Himmels.Ein älterer Mann mit Sonnenbrille spielt Gitarre und singt in ein Mikrofon auf einer Straße in der Stadt, neben ihm stehen ein Gitarrenkoffer und ein Lautsprecher.Drei Torreros im Popup Office 2025 posieren an einem Geländer am Wasser mit einem Schild mit der Aufschrift „Vorsicht, rutschig bei Nässe“. Im Hintergrund ist die Skyline der Stadt zu sehen.

Designszene mit Herz und Haltung

Besonders in Erinnerung geblieben ist uns das Vancouver Design Community Meetup. Hier treffen sich Kreative aus allen Bereichen – von Freelancern über Fashion- bis hin zu Digital Designer:innen. Der Austausch war offen, inspirierend und voller Energie. Es ging weniger um Titel oder Lebensläufe, sondern um Ideen, Ansätze und gemeinsames Weiterdenken. Diese Community-Mentalität, in der man Wissen teilt statt es zu hüten, hat uns beeindruckt – und spiegelt die Arbeitskultur der Stadt wider. Vancouver vereint westamerikanischen Drive mit einer Gelassenheit, die man sonst selten findet. Locals und Internationals waren sich einig: Wer hier lebt, kann dem Alltagsstress schnell entkommen – sei es am Meer, in den Bergen oder im Park um die Ecke. Diese Balance aus Ehrgeiz und Entspannung ist spürbar – in Gesprächen, in der Arbeit und im Rhythmus der Stadt.

 

Begegnungen, die bleiben

Was unseren Aufenthalt in Vancouver besonders geprägt hat, sind die Menschen, denen wir begegnet sind. Jede Begegnung war anders – spontan, herzlich, überraschend – und hat uns gezeigt, wie offen und hilfsbereit die Kanadier:innen wirklich sind.

Unser erster Kontakt zu Locals war denkbar typisch für Vancouver: an einer Bushaltestelle. Eine junge Frau, Mitte zwanzig, mit asiatischen Wurzeln, sprach uns an, als sie merkte, dass wir etwas ratlos auf den Fahrplan starrten. Mit einem Lächeln erklärte sie uns geduldig, welche Linie wohin fährt und wann der Bus kommt. Wie sich herausstellte, arbeitete sie als Kellnerin im nahegelegenen Restaurant Tomahawk, direkt in unserer „Hood“. Schon am nächsten Tag erkannte sie uns wieder und winkte uns fröhlich von der Frühstücksterrasse zu – als würden wir uns schon ewig kennen. Ein paar Tage später, wieder im Bus, half uns eine andere junge Frau mit der Aufladung unserer Compass Card. Im Gespräch stellte sich heraus, dass sie aus der Nähe von Stuttgart stammt und in Vancouver ihr Praxissemester absolviert – die Welt ist manchmal wirklich klein.

Und dann war da Willy, unser 95-jähriger Nachbar. Er kam ursprünglich aus Bremen und wanderte vor Jahrzehnten nach Kanada aus. Am ersten Müllabholungstag stand er plötzlich in seiner Einfahrt und begrüßte uns auf Deutsch: „Guten Morgen, wie geht es Ihnen?“ – ein Satz, den er, wie er lachend zugab, „schon sehr lange nicht mehr gesagt“ hatte. Geduldig erklärte er uns das kanadische Müllsystem: „You have to open the clips on garbage day, otherwise the bears stay out – and so does the waste collection.“ Seitdem gehörte Willy zu unserem Alltag – immer bereit für ein kurzes Gespräch, eine Anekdote aus seinem Leben oder einen augenzwinkernden Tipp fürs kanadische Leben.

Ein Mann in einem schwarzen Kapuzenpulli und Shorts fährt mit einem Skateboard auf einer Rampe in der Nähe des Wassers und hält dabei eine blaue Flasche in der Hand. Auf der Rampe sind Graffitis zu sehen.
Ein Basketball fliegt durch einen Korb mit orangefarbenem Rand und weißem Netz vor dem Hintergrund eines strahlend blauen Himmels.
Vier Personen spielen Instrumente in der Nähe eines großen Baumstamms an einem Sandstrand, im Hintergrund sind Grünflächen und Gebäude zu sehen.
Zwei Personen im Freien; eine winkt, während die andere mit einer Kamera ein Foto macht. Der Hintergrund ist hell und leicht unscharf.

Bei einem Meetup der Vancouver Design Community lernten wir Adrian kennen – Produktdesigner, Musiker, Modegründer und, so könnte man sagen, Vollzeit-Kreativer. Er erzählte uns von seiner neuen Modemarke: eine Kollektion zwischen architektonischen Linien, Gothic Chic und Street Style. Tagsüber arbeitet er in einem Start-up in Chinatown, abends entwirft er Schnitte, produziert Musik und denkt über neue Formen nach. „Ich stehe um fünf Uhr auf, um zu trainieren, bevor der Tag beginnt“, sagte er mit einem Lächeln. Was ihn antreibt, ist kein Wettbewerb, sondern Leidenschaft. Sein Selbstbewusstsein wirkte dabei nie überheblich, sondern inspirierend – ein Beispiel dafür, wie man Arbeit, Kunst und Leben zu einem Ganzen verbinden kann.

Ein anderes Meetup – organisiert von Women in Product Management – führte uns zu Jerome, einem Digital Product Designer, der mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit über KI spricht. Für ihn ist sie kein Zukunftsthema, sondern tägliches Werkzeug. Er nutzt Tools wie ChatGPT, Deepseek, Perplexity oder Claude, um in kürzester Zeit Prototypen zu bauen – ganz ohne Code. „I love to ship“, sagte er und grinste. „If I get stuck, guess what? I ask the AI.“ Für Jerome ist KI kein Ersatz für Denken, sondern ein Beschleuniger. Seine Haltung: nicht „overthinken“, nicht um Erlaubnis bitten, sondern einfach machen. „Just do it – if it’s not working, fix it later.“ Was uns beeindruckt hat, war nicht nur sein Pragmatismus, sondern seine Gelassenheit. „The good thing about AI,“ meinte er, „while it’s working, I can grab a coffee and think about my next idea.“ Dieser Satz blieb hängen – nicht nur, weil er charmant klingt, sondern weil er eine Haltung beschreibt, die wir aus Kanada mitnehmen: Dinge ausprobieren, nicht alles bis ins Detail planen, und dabei die Leichtigkeit nicht verlieren.

Drei Personen lehnen an einem Geländer und blicken auf eine Stadtlandschaft mit einer grünen Hängebrücke und Bergen im Hintergrund.Eine felsige Küste mit einem Weg, der zu einer Inukshuk-Statue führt. Menschen sitzen auf Bänken, und Vögel fliegen vor einem klaren Himmel über ihnen hinweg.Zwei Personen lächeln im Freien, sie tragen Brillen und schwarze Hemden. Eine Person hat Kopfhörer auf. Der Hintergrund ist unscharf und enthält grüne und gelbe Elemente.

The (real) land of the free?

Wenn man der Geschichte einer kalifornischen Spaziergängerin im Lynn Park zuhört, die erst kürzlich nach Kanada emigriert ist, wenn man Willy trifft, der in seinen Zwanzigern aus Deutschland ausgewandert ist, wenn man Daniel trifft, der ebenfalls aus Minnesota in den USA stammt, oder wenn man die vielen Menschen mit britischen, französischen, asiatischen und indischen Wurzeln sieht, um nur einige zu nennen, könnte man zu diesem Schluss kommen.  Dann gewinnt man den Eindruck einer offenen Gesellschaft, in der all diese Menschen friedlich nebeneinander leben. Tatsächlich kam uns die kanadische Gesellschaft eher wie eine bunte „Salad Bowl“ vor.

 Vancouver zeigt eine offene, diverse Gesellschaft – und doch bleibt das Bewusstsein für schwierige Kapitel präsent. Im Museum of Anthropology wird die Geschichte der First Nations eindrücklich erzählt: von Kolonialisierung, Unterdrückung und kultureller Entwurzelung, aber auch von einer beeindruckenden Renaissance.

Heute arbeiten indigene Künstler:innen, Kurator:innen und Aktivist:innen eng mit Institutionen zusammen, um ihre Geschichten selbst zu erzählen. Seit 1982 sind ihre Rechte offiziell anerkannt, doch der Prozess der Versöhnung dauert an. Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte gehört zum modernen Kanada – ehrlich, sensibel und zukunftsgerichtet.

Unsere Learnings:

„Live and let live“

Kanadier:innen begegnen sich mit Respekt, Geduld und Offenheit – unabhängig von Herkunft oder Hintergrund. Diese Gelassenheit im Umgang miteinander schafft Vertrauen und Raum für echte Begegnungen.

Diversität als Normalität

Vancouver zeigt, dass Vielfalt keine Herausforderung, sondern ein Fundament sein kann. Unterschiedliche Perspektiven machen eine Stadt, ein Team und auch digitale Produkte stärker.

„Just do it“ statt „overthink it“

Die kanadische „Maker“-Mentalität inspiriert uns. Weniger zögern, mehr ausprobieren – und dabei entspannt bleiben, wenn etwas nicht sofort funktioniert.

Energie aus Pausen

Vancouver inspiriert, weil es Gelassenheit nicht als Gegenspieler von Ambition versteht. Die Stadt zeigt, dass echte Energie aus Ruhe entstehen kann – und dass Pausen in der Natur oft der beste Treiber für neue Ideen sind.

Vier lächelnde Menschen in Arbeitskleidung stehen vor ihrem bunten Imbisswagen, einer von ihnen zeigt den Daumen nach oben.